Grauenhafte Partieanalysen
Auf der Suche nach interessanten Partieanalysen, bin ich auf die Arbeiten von Schachfreund Johannes K. gestoßen. Es ist relativ selten, dass sich ein Schachspieler der im Spielstärkebereich zwischen 1300 und 1400 DWZ befindet, Partien analysiert und diese veröffentlicht. An dieser Stelle möchte ich mich bei Johannes K. für den Einblick in seine Denkweise bedanken.
Gleichzeitig ist es aber auch erschreckend, wie falsch die Anmerkungen in den Analysen sind und wie unsinnig so manche Erklärung ist. Wenn man sich durch die "Analysen" arbeitet, stellt man schnell fest, dass hier einfach eine Partie in Fritz eingegeben wurde und die sog. "automatische Vollanalyse" durchgeführt wurde. Das bedeutet, dass das Schachprogramm Fritz eine Partie komplett analysiert und hier und da ein paar Anmerkungen zu einzelnen Zügen generiert und in die Notation schreibt. Ein unter Anfängern beliebtes Hilsmittel, dass aber einfach nur schlecht ist und mit Analysearbeit nichts zutun hat. Die Fritz-Kommentare wurde vom Analysten anschließend gelöscht und durch eigene Kommentare ersetzt. Das Ergebnis beinhaltet noch die Fritz-Zugvorschläge und den Versuch von Johannes K. , diese zu Erklären.
Exemplarisch möchte ich folgende Partie zeigen, welche mit Weiß von J. Kunz und mit Schwarz von H. Fiehl gespielt wurde:
1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. a3 Nc6 4. Nf3 d5 5. c5 a5 6. Nc3 Nd7 7. Bd2 b6 8. Na4
bxc5 9. Nxc5 Nxc5 10. dxc5 Bxc5 11. Rc1 Bb6 12. Rxc6 Bb7 13. Rc1 O-O 14. e3 Qf6
15. Bc3 Qg6 16. Qd3 f5 17. Ne5 Qe8 18. Bd4 Ba6 19. Qc3 Bxf1 20. Kxf1 c5 21. Qb3
cxd4 22. Qxb6 Rb8 23. Qxd4 Qb5+ 24. Kg1 Rfc8 25. Rxc8+ Rxc8 26. g3 Rc1+ 27. Kg2
Rxh1 28. Nd3 Rd1 29. Qc3 Rxd3 30. Qc8+ Kf7 31. Qc7+ Kg6 32. Qe7 Qc6 33. h4 d4+
34. Kh3 h6 35. h5+ Kh7 36. Qf7 Qh1# *
Schauen wir uns die einzelnen Schlüssestellungen an, welche Johannes K. kommentiert hat:
Stellung nach 5.c5
Analyse Johannes K.: Dieser Zug wird von Fritz nicht gut bewertet und macht die Stellung von Weiss um 1/2 Bauern schlechter. Weil die Spannung im Zentrum aufgegeben wird. Besser Sc3 oder e3.
Aua ! In einer solch frühen Phase der Partie eine Engine zu befragen ist schon unsinnig. Dann noch zu versuchen, eine Fritz-Bewertung von 0,5 Bauerneinheiten zu erklären ist schlicht lächerlich. Wenn man in dieser Stellung 10 verschiedene Engines rechnen läßt, bekommt man 10 verschiedene Bewertungen. Wenn man Partien analysiert, sollte man den Blick nicht auf die Enginebewertung werfen, sondern den Blick auf das Brett richten. Hier geht es nicht um Spannung im Zentrum, sondern um mögliche bessere Züge. Weiß sollte in der Eröffnung Figurenentwicklung anstreben. Der Zug 5.c5 schafft Raum am Damenflügel und behindert den Läufer f8 bei der Entwicklung. Es ist halt einfach nur ein Zug. Sc3 oder e3 sind nur unwesentlich besser.
Stellung nach 5...a5
Analyse Johannes K.: a5 gibt den Vorteil wieder her, daher wieder =. Besser Le7, 0-0, und dann, nach Vorbereitung, versuchen e5 durchzusetzen.
Soso ! Da hat Schwarz also schon Vorteil gehabt und diesen wieder hergegeben. Das klingt ganz nach einem bekannten Fritz-Kommentar "Gibt den Vorteil aus der Hand". Das ist natürlich Käse. Schwarz schwächt mit 5...a5 das Feld b6 und macht praktisch nichts für seine Entwicklung. Gleichzeitig hat Schwarz nun nicht mehr die Möglichkeit mit dem a-Bauern das Feld b5 zu kontrollieren. Solche Züge sind typisch für Anfänger. Wahrscheinlich hatte Schwarz Angst vor einem eventuellen b2-b4 und hat deshalb den Bauern nach a5 gezogen. Anfänger neigen einfach dazu, irgendwelche Züge als Drohungen wahrzunehmen, welche keine sind und reagieren auf diese angeblichen Drohungen. Das kostet Zeit und gegen stärkere Gegner so gut wie immer auch die Partie. Wenn aber zwei schwache Spieler gegeneinander spielen, hebt sich das schnell auf. Da macht der eine Spieler einen langsamen und unnützen Zug und der andere Spieler antwortet ebenfalls mit langsamen und unnützen Zügen.
Stellung nach 6...Sd7
Analyse Johannes K.: "Eine bereits gezogene Figur zieht in der Eröffnung noch einmal und verstellt auch andere Figuren. Fritz-Bewertung 1,1 BE (Bauerneinheiten) für Weiss. Besser Le7 und 0-0. "
Das man in der Eröffnung jede Figur nur einmal ziehen sollte ist eine bekannte Regel, die aber nicht in Stein gemeiselt ist ! In geschlossenen Stellungen ist es durchaus üblich, Figuren zu lavieren und diese auf bessere Felder zu stellen. Der Springerzug nach d7 ist aus taktischen Gründen schlecht, da Weiß den Punkt c7 mittels Lf4 und ggf. Sb5 direkt aufs Korn nehmen kann.
Stellung nach 7.Ld2
Analyse Johannes K.: "Gibt den Vorteil wieder her. Ld2 ist zu passiv, auf f4 hat der Läufer mehr Wirkung. Außerdem droht dann schnell mal auch Sb5 mit Angriff auf c7."
Die Idee Lf4 und Sb5 ist nun offensichtlich und Johannes K. hat absolut recht. Der Läuferzug ist passiv und kann als Nullzug eingestuft werden.
Stellung nach 8.Sa4
Analyse Johannes K.: "Sa4 ist ein Fehler der durch den 5. Zug verursacht wurde."
Aha ! Johannes K. konstruiert nun eine fadenscheinige Begründung für den angeblich schlechten Zug 5.c5. Das ist ja mal sowas von an den Haaren herbeigezogen, dass es schon wieder lustig ist. Anstatt des Springerzuges nach a4 hätte Weiß einfach 8.cxb6 ziehen können. Mit dem Springerzug wollte Weiß offensichtlich den Bauern c5 decken, was nicht funktioniert, wenn man etwas tiefer als nur einen Halbzug rechnet. Den Bauern auf c5 nun aber dafür verantwortlich zu machen ist blanker Unsinn.
Stellung nach 9...Sxc5
Analyse Johannes K.: "Zuerst Sxd4 und dann Sxc5!"
Wo Johannes K. recht hat, hat er recht. Wir haben es hier aber mit Spielern zutun, welche maximal einen Zug weit rechnen und wenn es nichts zu rechnen gibt, einfach irgendwas ziehen. Ich muss dazu sagen, dass ich den Führer der schwarzen Steine relativ gut kenne und er normalerweise besser spielt. Was er hier zeigt, gehört nicht zu seinen besten Leistungen. Ist aber auf jeden Fall lehrreich.
Stellung nach 10...Lxc5
Analyse Johannes K.: "Stellt die Figur ein."
Ja,- da hat er recht. Tc1 oder Dc1 sehen schon übel aus. Schwächere Spieler würden nach der Partie natürlich sagen, dass das der Plan von 5.c5 war.
Stellung nach 14.e3
Analyse Johannes K. "e3! hemmt das schwarze Zentrum und aktiviert den Läufer. Weiss steht auf Gewinn."
Johannes K. gibt diesem Zug ein fettes Ausrufezeichen. Das machen Anfänger gerne, wenn ein kleiner Bauernzug gespielt wurde und der Computer diesen ebenfalls spielen würde. 14.e3 ist erstmal nichts besonderes und so ziemlich jeder Zug, ist für Weiß mit einer Figur mehr in Ordnung. 14.e3 ist einfach nur logisch, weil damit endlich der Läufer f1 ins Spiel kommen kann und Weiß mit der Rochade endlich seinen König sichern kann und beide Türme zusammen spielen können. Hier von einer Hemmung des schwarzen Zentrums zu sprechen, ist maßlos übertrieben. Schwarz hat andere Sorgen (Materialnachteil) und da ist ihm eine angebliche Hemmung des schwarzen Zentrums relativ Wurst.
Stellung nach 14.Df6
Analyse Johannes K.: "Besser Dd6 mit c5."
Klingt wieder nach Computervorschlag. In Wirklichkeit gibt es hier nichts Besseres für Schwarz. Es ist vollkommen egal, was er hier zieht.
Stellung nach 16.De3
Analyse Johannes K.: "Besser Ld3 (3 BE greifen 9 BE an!) "
Nun zählt Johannes K. die Bauerneinheiten. Auch das machen Anfänger gerne und für Johannes K. ist es der Grund, warum der Computer den Läufer nach e3 ziehen will. Es geht hier aber darum, den Läufer zu entwickeln und kurz zu rochieren. Der Damenzug ist aber nicht schlechter. Die Stellung ist so oder so für Weiß gewonnen. Das Weiß die Dame nach e3 zieht ist auch einfach zu erklären. Er hat Materialvorteil und will nun Figuren tauschen um mit einer Figur mehr im Endspiel zu spielen. Viele Anfänger schalten in dieser Phase das Denken aus und tauschen ab, was abzutauschen geht um dann in einem Endspiel zu landen, was trotz Mehrfigur remis ist. Oder aber sie stellen irgendeine Figur ein. Wie gesagt, das Denken schalten Anfänger hier oft aus. Da kann dann alles auf dem Brett passieren.
Stellung nach 17...De8
Analyse Johannes K.: "Damenreisen kosten Geld. Weiss hat entscheidenden Vorteil."
Und wieder 5 Euro ins Phrasenschwein.
Stellung nach 20.Db3
Analyse Johannes K.: "wirft den ganzen Vorteil weg. Warum nicht einfach Lxc5 - Lxc5, Dxc5 - Tc8, Sc6! und Schwarz kommt nicht weiter!"
Ja warum eigentlich nicht ? Eventuell liegt es daran, dass Weiß einfach meinte, mittels Db3 den Läufer b6 angreifen zu können, nach dem Motto: Schlägst du meinen Läufer auf d4, schlag ich deinen Läufer auf b6. Es ist natürlich einfach, sich mit einem Computer hinzusetzen und zu sagen "Warum eigentlich nicht?".
Stellung nach 21...cxd4
Analyse Johannes K.: "Gibt dem Weissen wieder den alten Vorteil zurück. Tb8 wäre richtig gewesen."
Ja,- die alten Vorteile sind auch reifer und liegen besser im Magen. Die Abwicklung nach Tb8 muss man am Brett erstmal richtig berechnen. Von selbst spielt sich das mit Schwarz defintiv nicht. Das am Ende der Springer von Weiß hängt, sieht ein Computer relativ schnell, aber ein Mensch mit 1400 DWZ muss das erstmal finden.
An dieser Stelle möchte den kurzen Einblick in die Analysearbeit von Johannes K. beenden. Wer noch nicht genug hat, findet den Rest hier: http://www.pc-hilfe-seefeld.de/schach/29_4_2014/base.htm
Als Bonus findet man hier noch eine diese Mensch/Computer-Analysen: http://www.pc-hilfe-seefeld.de/schach/29_4_14SH/base.htm
Ich kann jedem Schachspieler nur raten, Partien ohne Computer zu analysieren. Nur so kann man den Geist einer Partie erfassen und auch verstehen, warum Menschen hier und da schlechte Züge ausführen. Wenn man mit der Analyse fertig ist, kann man den Computer drüberjagen und prüfen, ob man hier und da was Taktisches übersehen hat. Durch mein Schachtraining habe ich mit vielen Anfängern zutun und es gibt nichts Schlimmeres, als ein 1400er der den Vorschlägen des Computers blind folgt und sich die Computerzüge mit fandenscheinigen Erklärungen zurechterklärt. Das hat mit einer Schachanalyse nichts zutun und die eigene Kreativität stumpft komplett ab.
Bis zum nächsten Mal